Napf - der Gipfel der Begegnungen

Warum steigt jemand in einem einzigen Jahr 237 Mal auf den Napf? Es gibt doch noch andere Berge. Peter Helfenstein schreibt, warum ihn das glücklich macht und was er dabei erlebte.

Peter Helfenstein

Berge faszinieren Menschen seit jeher. Edmund Hillary und Tenzing Norgay haben den Mount Everest und Edward Whymper das Matterhorn zum ersten Mal bestiegen. Auch in der Bibel spielen Berge eine wichtige Rolle. Die Arche Noah lief auf dem Berg Ararat auf Grund, Moses erhielt die Zehn Gebote auf dem Berg Sinai und Jesus wurde auf dem Hügel Golgota gekreuzigt.

Warum immer auf den Napf
Der Napf ist kein gewöhnlicher Berg. Er ist mit 1408 Meter der höchste Berg im Schweizerischen Mittelland und laut «Seppi a de Wiggere» «ygstacket voll Gold». Das sind doch schon mal zwei gute Gründe, diesen Berg immer wieder zu besteigen. Ich kenne zwar Leute, die sagen, dass es doch langweilig sei, x-Mal auf den gleichen Berg zu steigen und wer mehr als einmal auf den Napf wandere, sei ein Esel. Das bin ich gerne, ist doch der Esel keineswegs ein dummes Tier.
Angefangen hat das Projekt «Napf» mit einem simplen Rat meiner Frau Emma. Sie riet mir, nicht ständig vor dem PC zu sitzen und jeden Tag mindestens eine Stunde zu wandern. Das sah ich ein. Und weil der Napf der mir am nächsten liegende Berg mit über 1000 Meter Höhe im Umkreis von 15 Kilometern ist, nahm ich mir vor, ihn jeden Monat mindestens zwölf Mal zu besteigen. Denn der Mensch braucht ein Ziel, um etwas zu erreichen. Als ich im Laufe des Jahres von einer Hergiswilerin vernahm, dass sie in einem einzigen Jahr 145 Mal den Napf bestiegen hatte, schraubte ich mein Ziel auf 146 Besteigungen hoch. Kurze Zeit später sagte mir ein Willisauer, dass er den Napf in einem einzigen Jahr 150 Mal bestiegen habe. Neues Ziel: 151 Besteigungen. Nachdem ich auch diese Marke am 30. September geknackt hatte, fasste ich 200 Besteigungen ins Auge. Und siehe da, Ende Jahr bin ich bei 237 Besteigungen angelangt. Im klassischen Wandermonat Oktober stieg ich gar jeden Tag auf den Napf. Erwähnenswert ist auch, dass ich immer am ersten und am letzten Tag eines Monats auf dem Napf war. Um das Ziel zu erreichen, den Napf so oft zu besteigen, waren folgende drei Voraussetzungen wichtig: Gesundheit, Gesundheit und Gesundheit!

Der Napf ist ein Kraftort
Ich besteige den Napf bei jedem Wetter. Wer die Natur gerne hat, dem gefällt sie auch, wenn es regnet oder Nebel hat. Napfbesteigungen sind Meditationen für mich. In der Natur finde ich meinen inneren Frieden. Auf dem Napf setze ich mich auf eine Bank, atme tief durch und fühle mich nach fünf Minuten erholt. Ich komme jeweils nach meinen Napfbesteigungen - wie Moses vom Berg Sinai - geläutert herunter: Zufrieden mit Gott, der Welt und mir. Wer nicht spürt, dass der Napf ein Kraftort ist, dem fehlt ein Gen. Auf meinen Wanderungen bin ich für niemanden erreichbar und hänge nur meinen Gedanken nach. So ist das Wandern für mich die bessere Erholung als ein Feierabendbier – und dieses kann man sich danach mit gutem Gewissen gönnen. Immer wieder erlebe ich bei meinen Wanderungen, dass ich beim Gehen einen kreativen Schub erfahre. Oft ergeben sich die Lösungen für Probleme beim Fortbewegen wie von selbst. Diesen Zusammenhang zwischen Körper und Geist machten sich bereits die griechischen Philosophen der Antike zunutze. Aristoteles etwa (be)lehrte seine Schüler, während er ging. Ich betrachte es als ein grosses Geschenk, dass ich in der Lage bin, im Alter von 68 Jahren 237 Mal auf den Napf wandern zu können. Viele Menschen können das nicht oder nicht mehr und würden dafür viel Geld hergeben.

Meistens nur glückliche Menschen
Es ist mir bei meinen Napfwanderungen aufgefallen, dass es auf dem Napf zumeist nur freundliche und gut gelaunte Menschen hat. Warum wohl? Jeder, der dort oben ist, ist selber hinaufgestiegen und durch seine Leistung hat er so genannte Glückshormone ausgeschüttet. Er vergisst den Alltag für einen Moment und geniesst bei schönem Wetter einen atemberaubenden Blick in die Alpen, ins Mittelland und zum Jura. Der Napf als höchster Berg des schweizerischen Mittellandes ist so etwas wie der Logenplatz des Mittellandes. In diesem Jahr traf ich auf dem Napf auf viele Menschen: vom ehemaligen Schüler bis zum ehemaligen Schulinspektor, welche ich jahrelang aus den Augen verloren hatte. Etwas verspätet traf ich an meinem Geburtstag am 12. Dezember auf dem Napf ein. Bundesrat Johann Schneider-Ammann, welcher an diesem Tag mit seinem Hund auf den Napf stieg, befand sich bereits wieder auf dem Abstieg, sonst wäre es zu einem einzigartigen Gipfeltreffen gekommen.

From Singapore to Napf
Eigentlich ist für mich jede Napfbesteigung etwas Besonderes. Die 14. und 27. Besteigung werden mir zeitlebens in Erinnerung bleiben. Nach meiner 14. Napfbesteigung am 3. Februar dieses Jahres vernahm die ganze deutsche Schweiz, dass ich an diesem Tag auf dem Napf war. Ich schickte nämlich ein Foto, welches ich an diesem Tag auf dem Napf schoss, an SRF Meteo. Meteorologe Thomas Bucheli verkündete dann um 19.55 Uhr auf SRF 1 in der Sendung Meteo, dass Peter Helfenstein auf den Napf gestiegen sei und über einer Hochnebeldecke eine fantastische Aussicht genossen habe.
Auch die 27. Besteigung (ich führe ein Napf-Tagebuch) war ein Highlight. Nach einer Rundreise durch Thailand starteten meine Frau und ich am 14. März um 01.30 Uhr in Singapur, wo wir von Bangkok herkommend umsteigen mussten, zurück nach Zürich. Nach einem 11-stündigen Flug mit dem grössten Passagierflugzeug der Welt, einem Airbus A380, landeten wir wegen der Zeitverschiebung bereits morgens um 08.00 Uhr in Zürich. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln reisten wir nach Hergiswil und obwohl ich über 24 Stunden nicht richtig geschlafen hatte, fand ich keinen Schlaf und wanderte am Nachmittag auf meinen Hausberg. Wohl noch nie war ein Mensch am gleichen Tag sowohl in Singapur als auch auf dem Napf anzutreffen. Darauf bin ich richtig stolz.

Im «Nachtclub» zu hören
Der «Nachtclub» mit Ralph Wicki auf Radio SRF 1 feierte am 23. Juli die 100. Sendung. Zu diesem Anlass suchte Ralph Wicki 100er-Geschichten. Weil ich genau an diesem Tag zum 100. Mal auf den Napf stieg, meldete ich mich und war dann nachts um 00.45 Uhr Gast bei Ralph Wicki. Bei meiner 100. Besteigung begleiteten mich meine Frau und meine drei Geschwister, die mit mir zusammen dieses Ereignis gebührend feierten.

Peter Helfenstein auf dem Napf

Am 22. November 2014 bestieg Peter Helfenstein in diesem Jahr zum 201. Mal den 1408 Meter hohen Napf.

Bild Peter Helfenstein

Dramatik am Berg
Napfbegehungen sind nicht zu unterschätzen. In diesem Jahr war ich drei Mal auf dem Napf als ein Wanderer mit dem Helikopter der REGA ins Spital geflogen werden musste. Ein anderes Mal suchte in der Nähe der Chrotthütte eine Frau verzweifelt ihren 10-jährigen Ferienbub. Er habe eine Abkürzung genommen und sie finde ihn nicht. Glücklicherweise trafen wir ihn unten auf dem Parkplatz. Sofort eilten wir mit dem Knaben zur Frau. Ein anderes Mal rutschte vor unseren Augen ein Knabe einen steilen Hang hinunter auf den Wanderweg. Wenn ihn seine Mutter, welche sich gerade an dieser Stelle befand, nicht festgehalten hätte, wäre der Knabe bestimmt 50 Meter den steilen Hang hinuntergerutscht. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre.
Meine Frau begleitet mich oft bei meinen Napfbesteigungen. Als sie ihrerseits die 100. Besteigung des Napfs in diesem Jahr machte, feierten wir dieses Ereignis mit einem Mittagessen auf dem Napf. In der Gaststube sass eine Frau mit ihrem Hund, den sie zwei Tage lang auf dem Napf suchte. Sie war überglücklich, dass sie ihren Hund wieder gefunden hatte. Weil wir die einzigen Gäste waren, lud sie uns ein, mit einem Glas Wein auf den wiedergefundenen Hund und die 100. Besteigung anzustossen.

Spuren in den Print-Medien hinterlassen
Ein treuer Begleiter meiner Wanderungen ist das Smartphone - zuweilen auch eine Fotokamera. Man weiss ja nie, was es da Aussergewöhnliches zu fotografieren gibt. So geschehen am 3. Februar als das Foto in der Sendung Meteo – wie oben bereits erwähnt - gezeigt wurde. Mehr als einmal fand eines meiner Bilder den Weg in den Willisauer Boten. Die geranienfressende Ziege von Chregu beim Hotel Napf inspirierte Robert Bossart von der Neuen Luzerner Zeitung zu diesem Bild einen Text zum Thema «Die Lust am Verbotenen» zu schreiben.

Astronomische Zahlen
Bei meinen 228 Besteigungen habe ich laut Schrittzähler rund 2,3 Millionen Schritte gemacht. Mein Herz schlug ungefähr 2‘300‘000 Mal, mein Körper verbrannte 144‘000 Kalorien, ich überwand fast 112‘600 Höhenmeter und lief eine Distanz von rund 1385 Kilometer (Hergiswil – Madrid). Die reine Marschzeit bei meinen Napfwanderungen betrug rund 456 Stunden, umgerechnet sind das genau19 Tage à 24 Stunden.
Sie sehen, das Napf-Fieber hat mich gepackt. Oder sollte man statt von Fieber schon eher von einem Napf-Virus (Virus napfus) sprechen? Ich bin ja gespannt, ob mich der Napf auch im kommenden Jahr lockt. Für mich ist und bleibt der Napf der Superstar von Hergiswil. Vielleicht konnte ich Sie auch mit dem Napf-Virus infizieren – und Sie werden bald merken, dass es keinen besseren Ort auf der Erde gibt, um Erholung von unserem oft hektischen Alltag zu finden. Wie Recht Reto Stadelmann in seinem Jodellied «Bärgandacht» doch hat, wenn es am Schluss heisst: «Herrgott, hesch du d Wält schön gmacht.»