Einwanderer verändern das Gesicht eines Dorfes - Freihof

In den folgenden Monaten wird Ihnen als erstes ein Foto mit einem Ausschnitt eines Gebäudes in unserem Dorf auffallen.
Februarbild
Haben Sie das Haus Freihof (Dorfstrasse 27) erkannt?

Freihof

Der Freihof war ursprünglich als Hotel gedacht.

Bild Peter Helfenstein

Einwanderer verändern das Gesicht eines Dorfes
(Auszug aus «Der Hinterländer», 13. Jahrgang, Nr. 3, 1974, von Josef Zihlmann alias Seppi a de Wiggere. Wir danken Josef J. Zihlmann für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)

Die Macchi kommen
Im März 1900 kamen drei Italiener aus Varese nach Hergiswil, der 45 Jahre alte Vater Archangelo Macchi mit seinen zwei Söhnen Luigi und Antonio. Luigi war 22 Jahre alt, Antonio erst 14. Es wäre interessant zu wissen, welches Schicksal diese Einwanderer aus Italien ins Napfdorf Hergiswil verschlagen hat. Die Macchi sind unserer Gegend treu geblieben, und ihre Nachkommen gehören längst zu uns Einheimischen. Die Ankömmlinge waren, wie sich bald herausstellen sollte, nicht nur tüchtige Bauleute, sondern auch wagemutige Unternehmer. Es scheint, dass vor allem Luigi als treibende Kraft zu betrachten ist.
Mit den drei Macchi kam auch Giovanni Lucchina, der 15 Jahre alt war und ebenfalls aus Varese stammte, nach Hergiswil.
Zwei Monate später folgten drei Italiener aus Filatiera: Giovanni Gussoni, Luigi Moscatelli und Carlo Filippi, Arbeiter im Alter von 46, 68 und 42 Jahren. Aber das war erst der Anfang.
Im Laufe des Sommers 1900 trafen insgesamt 52 Personen aus Italien ein. Hergiswil beherbergte also fast von heute auf morgen eine stattliche Italienerkolonie. Zweifellos brachte das einige Probleme. Hergiswil, ein Dorf, das nur ganz ausnahmsweise einen Ausländer bestaunen durfte, bekam plötzlich so viel italienisches Temperament zu verspüren. Man frägt sich heute, wo und wie jeder dieser Einwanderer sein Dach über dem Kopf gefunden hat. Als Wohnort für die meisten wurde «Enzi» angegeben; man hat darunter wohl Lokalitäten zu verstehen, die südlich des Dorfes Hergiswil lagen, etwa im Hübeli. Die Ankömmlinge haben punkto Wohnkomfort sicher keine grossen Ansprüche gestellt.
Hergiswil war freilich für einen grossen Teil dieser Leute aus Italien nicht als dauernder Aufenthaltsort vorgesehen. Im Herbst zogen die meisten mit den Schwalben wieder gegen Süden.
Dieser Aufsatz will und kann nicht eine Geschichte der Familie Macchi, noch eine solche der Italienerkolonie in Hergiswil sein. Ich möchte bloss zeigen, wie es kam, dass sich das Bild des Dorfes Hergiswil im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts so stark veränderte.

Es begann mit dem Freihof
Im August 1900 kaufte Luigi Macchi von Xaver Dubach, dem Besitzer der Sägereiliegenschaft im Dorf, «ein Stück Mattland», für das er pro Quadratschuh 10 Rappen bezahlte. Das ergab eine Kaufsumme von Fr. 730.97 Die Fertigung erfolgte erst im Februar 1901.
Indessen begann Macchi bereits mit der Ausführung seines aufsehenerregenden Planes. Er hatte vor, auf dem erworbenen Grundstück ein Haus zu erstellen, das punkto Bauart und Grösse die kühnsten Erwartungen der Hergiswiler übertraf. Bevor er aber mit dem Bau des grossen Hauses begann, erstellte er eine Baubaracke, «ein kleines Gebäude zur Installierung einer Zementmaschine», wie es in der Baubewilligung heisst. Dieses kleine Gebäude an der Wigger, südöstlich des Freihofs, steht heu­te noch.

Hier begannen die Macchi - sie hiessen im Volksmund Matschi - ihre Tätigkeit als Bauunternehmer zu entfalten. Im August 1901 erhielt Luigi Macchi die Bewilligung zum Bau des grossen Hauses, das er geplant hatte. Es ist der jetzige Freihof, dessen Bauart und Ausmasse noch heute erstaunen. In der damaligen Zeit muss der Freihof für das Dorf Hergiswil etwas Unerhörtes gewesen sein. Aber nicht nur der Bau selber fiel aus dem üblichen Rahmen, sondern auch seine Zweckbestimmung: «Freihof», so sollte das dritte Wirtshaus in Hergiswil heissen. Es war nicht ein Holzhaus wie das «Kreuz» oder der «Löwen», sondern ein von Italienern nach der Manier ihrer Heimat gebautes Haus, ein kleiner Palazzo, bei dem sogar die Loggia nicht fehlte. Die Inneneinteilung verrät noch heute die ursprüngliche Zweckbestimmung.
Wer weiss, welche Aussichten oder gar Versprechungen Luigi Macchi dazu führten, in Hergiswil ein drittes Wirtshaus zu bauen. War es ein Spekulationsbau, der verkauft werden sollte, wenn das Wirtsrecht erteilt war oder wollte die Familie Macchi die Wirtschaft selber betreiben? Sei dem wie ihm wolle, das Gesuch um Erteilung eines Gastwirtschaftsrechts wurde abgewiesen, und es blieb von all den Plänen nichts übrig als das grosse Haus mit dem wohlklingenden Namen. Eine dritte Wirtschaft liege nicht im Interesse des Volkswohles, teilte der Gemeinderat im Oktober 1903 mit.

Indessen hatten Vater Archangelo Macchi und seine zwei Söhne Zuzug aus Italien erhalten. Im Frühling 1903 traf die damals 47 jährige Mutter Angela Macchi, geb. Zamberletti, mit zwei Kindern und vier weitern Personen ein. Es scheint, dass von diesem Zeitpunkt an die Familie Macchi, die im neuen Freihof wohnte, vollständig beieinander war: Vater und Mutter Macchi mit ihren Söhnen Luigi, Antonio und Mario und den Töchtern Antonietta (später Frau Casoli) und Armida (später Frau Bellea). Josef Zihlmann

Das Titelbild kann unter www.peterhelfenstein.ch in Farbe bestaunt werden.